Liebe Mutter!
Heute sind es genau 4 Wochen, dass ich eingerückt bin und komme erst heute dazu Dir einen Brief zurück zu schreiben. Eine Karte habe ich dir gleich geschrieben, nach Deutschwald. Zu einem Brief langte die Zeit nie aus. Du musst wissen, dass wir als Rekruten furchtbar viel Arbeit haben. Ich habe mit viel Beschäftigung gerechnet, doch übersteigt die Wirklichkeit meine Annahme doch noch um Beträchtliches. Wir haben aber auch schon sehr viel gelernt in diesem einem Monat. Der Fortschritt unserer Ausbildung muss ja ein viel Schnellerer sein jetzt im Kriege als bei Normalabrichtungen notwendig ist. Wir stehen täglich schon sehr zeitig früh auf. Dabei müssen wir beim Antreten der Kompanie marschmäßig fertig gemacht sein und dann geht es hinaus kilometerweit ins Übungsgelände. Es ist dies meistens ins sogenannte Kirchholz, ein Bergwald mit hügeligem Vorgelände. Weil wir viel am Bauch rutschen, nennen die Soldaten es das Kriechholz. Bei schönem Wetter gibt es eine ganz anstrengende Fürnerei, so mit schwerem Rucksack, Stahlhelm und Gewehr. Aber so richtig wird’s erst bei Regen und diesen haben wir nun schon über eine Woche. Da heißt es halt: hinein in den Dreck, heraus aus dem Dreck usw. Schwitzen und Stehen oder liegen in der Kälte, dass es einen ordentlich beutelt. Das gibt eine Abhärtung, denn interessanterweise gibt es keine großen Verkühlungen, doch schön und angenehm ist anders. Aussehen tun wir an so einem Tag wie Erdmäuse. Doch kann man glücklicherweise wieder alles abwaschen. Mit kalten Wasser, eine Spezialität für sich, besonders bei diesem Seifenmangel. Da ist man dann auch immer bei Appetit, und zu viel werden wir ohnehin nicht gefüttert. Auch einen Schlaf haben wir wie die Bären. Oft sind die Glieder in der Früh des nächsten Morgen noch müde. Ja so ist das Soldatenleben. Aber die Kameraden an der Front haben es noch hundertmal ärger und schließlich gewöhnt man alles mit der Zeit.
Sehr knapp ist unsere Freizeit, das heißt wir haben mit Ausnahme des Sonntag überhaupt keine. Und an diesem Tag ist so viel Heimarbeit, wie flicken, nähen, Kleinigkeiten auswaschen, Spint zusammenräumen, Haar schneiden lassen, Fingernägel schneiden und tauschende andere Arbeiten, sodass die Stunden nur so verfliegen. Wollte mich schon so oft hinsetzen und schreiben, aber nichts möglich, den neben Zeitmangel ist auch nie genügend Ruhe auf der Stube. Bei zehn Mann in einem kleinen Raum geht’s oft zu wie in einem Kinderzimmer. Alle reden zu gleicher Zeit und ziemlich laut dazu. Am Tisch ist auch nie Platz, obwohl er nicht klein ist. Aber heute nun ist die Hälfte der ganzen Meute ausgegangen und so finde ich endlich Gelegenheit, Dir liebe Mutter, ausführlicher zu schreiben. Schicke Dir anbei auch einige Aufnahmen, die ich schon gemacht habe zur Erinnerung an meine Rekrutenausbildung.
Nun, liebe Mutter, habe ich auch eine große Bitte an Dich. Mit geht manches ab, was ich hier nicht beschaffen kann und bitte ich Dich, nur wenn Dir möglich, Folgendes zu schicken:
- 1 Paar Holzschlapfen (Größe 42)
- 1 Fürta (altes Wort für Schürze) blau oder grau
- 1 oder 2 alte Handtücher
- 1 warme Zipfel (Schlafhaube)
- Einige Lederschuhriemen
- 1 Starken Hosenträger
- 1 paar Packerl Zahnstocher
- 1 Kerze
- Ein paar alte Taschentücher
- 2 Schuwachsbürsteln
- und eine Ausreibbürste (wenn du sie erhältst eine mit noch guten Borsten und dann halt noch Seife, die fehlt uns allen am allermeisten, vielleicht kann die Lisl eine machen aus altem Fett, ich lasse sie darum sehr bitten).
Dann, liebe Mutter, wenn du Zeit hast, stricke mir wollene Socken, die zerreiße ich am häufigsten, und die vom Militär sind gar nicht wert. Muss keine Schafwolle sein. Zertrenne eventuell den grünen Pullover. Mache die Socken aber nicht zu klein und nicht zu fest stricken und eine Ferse hineinstricken. Ich schicke dir ein Muster.
Ansonsten brauchst du aber keine Sorge um mich zu haben, denn soweit bin ich gesund, was ja die Hauptsache und was alles andere betrifft ist es ja die Pflicht von Millionen anderer auch.
Wie geht es Fredi in seiner neuen Kaserne und wie geht’s denn der Lisl? Hat sie schon alles Heu, Gemüse und Obst eingebracht?
Bei den Gebirgsjägern sind hier bei uns größtenteils Bauernbürschchen und Landwirtssöhne. Viel sind vom Typus „Lieber Hansl“ mit und ohne Herzfehler. Auf jeden Fall aber eine lange Leitung. Wir haben aber auch kluge Leute und Gescheite. So zum Beispiel einen Lehrer, einen Rechtsanwalt, einen Philosophiegelehrten und Ähnliches. Sind jetzt alle gleich und jeder wäscht seinen Drillich, putzt die Schuhe und hat schmierige Hände vom Gewehrreinigen und muss sich zu den Mahlzeiten ums Essen anstellen. Eine gute Lehre jedem fürs weitere Leben. Wir haben schon ganz nette Gepäcksmärsche gemacht und zwei Nachtübungen gehabt. Geht anfangs ziemlich in die Beine. Der liebste Tag ist uns der Dienstag. Da haben wir Scharfschießen auf Scheiben in der Schießstatt. Habe bis jetzt ganz gut abgeschnitten und sowohl mit dem Gewehr sowie am Maschinengewehrstand die vorgeschriebene Ringanzahl geschossen und somit die Aufgaben erfüllt. Hoffentlich bleibts dabei, doch mich freut es und da geht alles besser.
Liebe Mutter, habe dir heute etwas mehr geschrieben, denn wer weiß wann bei diesem Rummel ich erst wieder dazu komme, denn morgen Früh geht’s wieder ins Kriechholz und zu regnen hat es auch noch nicht aufgehört. Auf den Bergen liegt bereits der erste Schnee.
Was gibt es Neues in Lilienfeld und Deutschwald? Was macht die Putzermaus? Jetzt ist sie ja schon ein Jahr alt. So vergeht die Zeit. Hat Roman noch keine Einberufung? Hoffentlich kann er noch bei seiner Familie bleiben. Es würde ihn wohl schwerer treffen. Mir als Junggesellen macht es nichts aus aber die Ehemänner sind alle etwas betrübt.
Wie geht es dir liebe Mutter. Hoffe dass du gesund und wohlauf bist. Schreibe mir auch bald und ich will Dich nochmals bitten, mir die Sachen, die ich Dir angeführt habe, recht bald zu senden. Vielleicht hat Lisl etwas Zeit, dass sie Dir bei den Socken hilft. Die schickst du mir halt später. Das andere würde ich aber bald brauchen. Vor allem schreibe aber recht bald, dass ich Nachricht von Euch habe. Bis dahin verbleibe ich mit tausend Grüßen und Küssen.
Euer dankbarer Toni
P.S.: Wenn du übrige Brot-, Fett- und Fleischmarken hast, schicke sie mir auch bitte (Reisemarken).
Der originale Feldpostbrief
Aus dem Brief geht hervor, dass Anton Steinacher sich am 29.9.1940 seit 4 Wochen in der Gebirgsjäger Grundausbildung beim Gebirgsjäger-Ersatz-Bataillon 100 befunden hat. In diesem Bataillon hat er sich bis zum 15. Dezember 1940 befunden und wurde dann dem Infanterie-Regiment 207 zugeordnet.
Der gesamte Original-Feldpostbrief ist als Datei nur auf Anfrage und Begründung erhältlich.
Weitere Infomationen zu diesem Feldpostbrief
Hier finden Sie Informationen zu den Erzählungen und Angaben von Anton Steinacher, die allesamt recherchiert worden sind. Folgende Informationen beschreiben die Orte, an welchen Anton Steinacher seine Gebirgsjäger Grundausbildung durchgeführt hatte.
Die Hochstaufen-Kaserne in Bad Reichenhall
Anton Steinacher absolvierte seine Gebirgsjäger Grundausbildung im Jahr 1940 in der Hochstaufen-Kaserne in Bad Reichenhall. Der Truppenübungsplatz liegt im Kirchholz und ist etwa 3 Kilometer von der Kaserne entfernt. Die Schießanlage befindet sich im Nesselgraben (Ortsteil Thumsee), der „Kleine Gebirgsübungsplatz“ auf der Reiter Alm, bzw. Reiteralpe, wie sie auch genannt wird.
Bad Reichenhall
Diese Abbildung zeigt Bad Reichenhall aus nord-westlicher Richtung. Die Kaserne befindet sich am rechten Ufer der Saalach. Links im Bild ist das Kirchholz zu sehen. Die Kaserne ist etwa 3 km vom Kirchholz entfernt. Von hier aus schrieb Anton Steinacher 11 der 38 Feldpostbriefe zwischen 29.9.1940 und 22.12.1940, sowie von 20.10.1941 bis zum 26.3.1942.
Das Kirchholz bzw. Kriechholz
Diese Abbildung zeigt eine Luftaufnahme des Kirchholz, bzw. des Kriechholz in Bad Reichenhall, wie es Anton Steinacher in seinem Feldpostbrief erwähnt hatte. Das hügelige (Königshöhe: 577m) und großteils bewaldete Kirchholz ist ein Ausläufer des Lattengebirges und bildet einen Teil des nordwestlichen Abschlusses der Berchtesgadener Alpen. Zu Beginn des zweiten Weltkrieges wurde diese Gegend für Truppenübungen verwendet.