Lieber Roman!
Erst heute erhielt ich deinen Brief vom 2. August. Also mehr als sechs Wochen benötigte die Post zur Beförderung. Ist aber ganz klar, wenn man bedenkt, welch weiten Weg der Brief gehen musste. Freilich muss ich dir ja erst mitteilen, dass wir seit Mitte August aus Russland herausgezogen wurden und jetzt an der französischen Küste liegen. Das kam ziemlich überraschend. Nachdem in der ersten Juliwoche, nach letzten schweren Durchbruchversuchen, der Russe auch in unserem Abschnitt weichen musste, kam unsere Einheit für einen weiteren Einsatz vorläufig nicht in Frage. Meine alte Division, also die vom Vorjahre, stieß im Verbande mit motorisierten schnellen Truppen nach, und wir hatten in der Folge die Wälder, am Don, von versprengten Bolschewisten und Partisanen, deren eine Menge aufgestöbert werden konnten, zu säubern. Auch suchten wir gemeinsam mit den Pionieren das Gebiet nach Mienen ab und hatten ganz schön zu tun damit. War interessant mit den Suchgeräten, doch mussten wir trotzdem verflucht auf der Hut sein, um nicht plötzlich hochzugehen. Kurze Zeit waren wir auch Baukompanie und legten einen Knüppeldamm durch Sumpf und Land für den Nachschub. Das war eine weit angenehmere Arbeit, zumal wir im Schatten des Waldes von der Sonnenglut doch einigermaßen geschützt waren. Immerhin wars aber auch eine richtige Plage, da wir bloß mit Äxten die Bäume fällen mussten und auch dieses Werkzeug in unzulänglichem Zustand war. Mussten ja alles erst von den Schlusen, so heißt die ukrainische Zivilbevölkerung, organisieren. So vergingen die nun feindfrei gewordenen Wochen sehr schnell. Unsere Division wurde durch den langen Einsatz und die vielen Kämpfe, den ganzen Winter über, arg geschwächt worden und hatte bis in den Sommer nur wenig Nachersatz bekommen. So mussten wir erst aufgefüllt und neu aufgestellt werden. Wird auch der Hauptgrund für unsere Herausnahme aus dem Osten gewesen sein. Warum wir nun hier, also ganz im Westen liegen, wirst du dir ja denken. Vorläufig sind wir noch Reserve und haben noch Ruhe. Also nicht ganz am Meer liegen wir in Bereitschaft. Hier ist alles Flachland und Landwirtschaft. So liegen wir bei den Bauern im Quartier. Die Bevölkerung ist sehr fromm und es wimmelt nur so von besonders jungen Geistlichen. Auch von meinem Quartiergeber ist ein Sohn im Priesterseminar. Anfänglich standen uns die Leute mit Hass gegenüber. Nun sehen sie, nach den wenigen Wochen unseres Hierseins, dass wir uns nicht so benehmen, wie die Tommies die ja zu Kriegsbeginn bloß bis hierher „vorstießen“, und dass wir auch nicht so sind, wie sie, die Franzosen selbst, bei der Besetzung unseres Rheinlandes und Ruhrgebietes im Jahre 1918 und später noch. Außer Quartier und Stallungen wird von den Leuten nichts benützt. Freilich sind sie noch immer skeptisch genug und nicht minder neidig, obwohl man hier vom Krieg überhaupt so viel wie nichts spürt. Wie anders sah da unser verlorener Krieg aus. Nun glaub ich, dass ja die Bauern auf der ganzen Welt gleich fromm, wie neidig sind. Ich bin gestern beim Pferdetränken verunglückt und liege nun mit einer Blutbeule an der linken Schläfengegend, sowie Quetschungen an Arm und Bein auf meiner Klappe. Bin seit einigen Tagen da ich bei der Pferdestaffel war, vorrübergehend zum Troß kommandiert und habe zwei neu gekaufte schwere Gäule, die gar nicht zusammenfinden wollen und sehr störrisch sind. In paar Tagen bin ich aber wieder am Damm. Nun, lieber Roman, habe ich dir wieder ein Stückchen Lebenslauf berichtet. Am schönsten wäre halt ein gemeinsamer Urlaub, dass wir uns einmal wieder sehen und gründlich ausplaudern könnten. Hoffentlich gelingts uns mal. Für heute dir alles Gute und recht herzliche Grüße, Dein Bruder Toni