Feldpostbrief vom 29.12.1943 – im Osten – Ort unbekannt

Liebe Mutter und Lisl!

Vor allem halt wieder recht liebe Grüße. Wir sind seit gestern nun an unserem Ziel und liegen einen Kilometer hinter der Front in einem Dorf im Quartier. In Stellung gehen wir erst heute Nacht, nach dem wir in die verschiedenen Gruppen eingeteilt werden. Unsere alte Kompanie gibt es nimmer und wird jetzt dafür eine neue aufgestellt. Es sind aber eine Menge Kameraden von der alten Einheit mit heraus gekommen, sodass man doch unter bekannten Kameraden ist. Noch geht’s mir soweit gut, bis auf etwas Husten und Schnupfen. Auf der Bahnfahrt hat es ja arg gezogen und hier ist es schon ziemlich kalt. Der Boden ist hart gefroren und vereist. Schnee liegt jedoch noch ganz wenig. In den Lehmhütten wäre das Quartier ganz schön warm, nur werden wir davon nicht mehr viel zu sehen kriegen. Einmal in Stellung gibt es vielleicht noch einen Bunkerofen. Auf der Fahrt hatten wir tüchtig geheizt, jedoch die letzten Tage gab es Regen, der uns durchs kaputte Dach in den Wagen tropft. Nun ist auch das vorbei und andere Unbilder kommen. Augenblicklich herrscht hier starke Artillerietätigkeit und die Kanonen und Granaten rumoren ununterbrochen. Am Schlimmsten ist aber die Spähtrupptätigkeit bei Nacht und Nebel. Wie die Kameraden erzählen, habe sich selbst die Essenholer verirrt und sind beim Ivan gelandet. Also mal eine andere Art von Krieg, wie ich ihn noch nicht ganz kenne. Ein paar alte Bekannte habe ich aber auch schon begegnet, ohne die es hier nicht geht, nämlich Läuse. Der Anfang ist also wieder gemacht und wie es weiter wird bleibt wie immer abzuwarten. Das Ärgste ist halt vorläufig die große Kälte, die uns noch bevor steht. Doch empfangen wir jetzt die warme Überkleidung und Filzstiefel. So wird’s erträglicher sein. Ansonsten kann ich noch nicht viel erzählen, aber ich glaube, dass ich euch, liebe Mutter und liebe Lisl, doch recht bald wieder schreiben kann.

Von unserer Fahrtunterbrechung vom Schwarzen Meer und der Weihnachtsfeier hab ich ein paar Zeilen geschrieben und ein Päckchen mit Rauchware weg geschickt. Hoffentlich kommt es an. Ich habe noch ein paar Luftpostmarken, da werdet ihr diesen Brief bald haben. Schreibt mir bitte auch bald, damit ich von euch ebenfalls ein Lebenszeichen habe. Was gibt’s denn Nues daheim und hoffentlich seid ihr immer gesund.

Hat Roman schon geschrieben und wie geht es ihm und seiner Familie? Ist Fredi noch im Nordabschnitt und was gibt es sonst? Ist Lieder Hans noch im Lazarett und was tut sich sonst im Stangental? Ich muss halt immer wieder an meine herrliche Urlaubszeit denken, an die wunderschönen Tage bei euch. Wann werden wohl solche Tage wieder kommen? Es wird lange dauern, aber ich freue mich heute schon wieder ungemein darauf. Die Hauptsache ist, dass wir weiterhin gesund bleiben. Wir müssen es schon dem Schicksal überlassen, aber vielleicht bleibt es uns weiterhin gnädig. Mit Gott wird es schon wieder werden, und gibt’s ein Wiedersehen in der Heimat. Bis dahin wollen wir uns aber oft schreiben. Meine jetzige Feldpostnummer wird vielleicht noch geändert aber bis dahin sollen wir alle Post auf diese bekommen. Also, wie ich kann, schreibe ich Euch wieder und ich freue mich auch schon recht auf liebe Nachricht von euch. Nun für heute nochmals recht viele innige Grüße und Küsse, liebste Mutter und Lisl, und alles Gute fürs neue Jahr, euer dankbarer Toni

Der originale Feldpostbrief

Feldpostbrief Anton Steinacher Feldpostnummer 39017 C
Fotografie des originalen Feldpostbriefes von Anton Steinacher vom 29.12.1943 - Feldpostnummer 39.017 C
Feldpostbrief Anton Steinacher Feldpostnummer 39017 C
Fotografie des Absenders von Anton Steinacher vom 29.12.1943 - Feldpostnummer 39.017 C

Informationen zu diesem Feldpostbrief

Feldpostnummer 39.017 C

Nach fast einem Jahr wechselte Anton Steinacher von der Feldpostnummer 39.359 C wieder zu seiner alten Feldpostnummer 39.017 C. Unter dieser Feldpostnummer hatte er zuletzt am 20.1.1943 geschrieben. Den Aufzeichnungen zufolge war er somit ab dem 3.1.1944 dem Grenadier-Regiment 466 Stab II 5. – 8. Kompanie zugeteilt. Diese Information stammt von axishistory.com (Suche nach Feldpostnummer 39017). Die Zuweisung zu diesem Regiment wiederspricht ein wenig den Informationen vom vorigen Feldpostbrief, jedoch teilt Anton Steinacher in diesem Brief mit, dass es sich hier wahrscheinlich nur vorübergehend um diese Feldpostnummer handeln sollte. Insofern ist davon auszugehen, dass Anton Steinacher, wie zuvor angenommen, in den folgenden Wochen im Infanterie-Ersatz-Regiment 257 Stab III. Bataillon (466) eingesetzt gewesen war.

Die Dnepr-Karpaten-Operation

Die Abbildung der Landkarte zeigt die Russland-Front (der blaue Bereich zeigt die umkämpften Gebiete) von Juli bis Dezember 1943. Wenn Sie mit der Mouse (Smartphone: auf die Abbildung tippen, erstes Bild wird wieder angezeigt, wenn Sie irgendwo neben dem Bild hintippen) über die Landkarte fahren, dann sehen Sie den begradigten Frontverlauf zu Gunsten der Roten Armee von Dezember 1943 bis April 1944. Die tükis-schwarzen Punkte auf der Landkarte markieren die Standorte von Anton Steinacher vor und nach der Frontbegradigung.

ostfront 1943

Anton Steinacher war an den Rückzugsgefechten der deutschen Wehrmacht ab Ende Dezember 1943 im Süden, nahe dem Schwarzen Meer, eingesetzt. Den Feldpostbrief vom 29.12.1943 schrieb der Obergefreite nur etwa einen Kilometer von der Frontlinie entfernt.  Im Feldpostbreif vom 1.4.1944 schrieb Anton Steinacher bereits aus Wien und berichtete, dass er kurz zuvor aus der Gegend von Tarnopol mit dem gesamten Lazarett über das Generalgovernement vor den Sowjets geflohen ist. Diese Information deckt sich mit den historischen Beschreibungen.