Feldpostbrief vom 19.6.1942 – Konstantinowka / Ukraine – Beginn der deutschen Sommeroffensive 1942

Liebe Mutter und liebe Lisl!

Vor allem viele herzliche Grüße und hoffentlich seid ihr gesund und wohlauf. Mir geht es auch noch gut und bin bis auf vorübergehende Erscheinungen wie Kopfweh, Durchfall, usw. auch gesund. Nun sind es schon wieder fast vier Wochen, dass wir Ohlau verließen und trennen uns jetzt dreitausend Kilometer. Wir fuhren am 24. Mai vormittags in Stadlau. Ursprünglich hieß es, dass wir einen längeren Aufenthalt und zwar in Wien Nordbahnhof hatten. Deshalb habe ich euch auch telegrafiert. Dann allerdings fuhren wir ostwärts Wien vorbei und ich konnte gerade schnell einen Anruf zu Lisitante machen. Habe mit Alois gesprochen, aber nur ganz kurz, weil wir ständig unterbrochen wurden und wir ja auch bloß nur einige Minuten Aufenthalt hatten. Wir fuhren dann über Bruck an der Leitha weiter und passierten bereits um 14 Uhr die ungarische Grenze. Damit war es auch mit dem schönsten Teil unserer weiten Reise vorüber. Ab nun war ja nur mehr Ebene und würde die Gegend immer eintöniger und trostloser. Gerade noch ein Stück ungarische Weingegend und dann in Rumänien die Bukowina haben mir gefallen. Zu Letzterer sahen wir auch die Karpaten, deren Gipfel noch schneebedeckt waren. Von größeren Städten sahen wir bloß Budapest, doch war hier schon Nacht, dann Debrecen, Iași und Kischinew. Und so waren wir auch schon wieder in Russland angelangt. Zuerst fuhren wir Richtung Odessa weiter, bogen aber dann nach Nordosten ab nach Kirowograd, wo ich im Vorjahre bereits war. Am 3. Juni wurden wir mit unseren Pferden in Saporischschja ausgeladen und ab hier gingen wir in Richtung Dnipropetrowsk im Marsch. Erst hier konnten wir den Dnjepr überschreiten, weil in Saporischschja die Brücken gesprengt waren. So reiten und fahren wir jetzt fast vierzehn Tage und liegen knapp vor Stalino. Konstantinowka heißt die kleine dreckige Stadt von der aus ich die erste Gelegenheit habe Euch zu schreiben. Vorerst sollte hier unser Ziel sein und wir von hier weg unseren Einheiten eingeteilt werden nun müssen wir die Pferde aber direkt zur Division bringen, also noch ein paar Tagesmärsche weiter vor. Wir hatten auch schon einige Fliegerangriffe, die Front ist nimmer weit und so haben wir tagsüber Ruhe und marschieren ab jetzt bei Nacht. Es ist auch wegen der Witterung besser, da es tropisch heiß ist und viele starke Gewitter mit Blitz und Hagel niedergehen. Beim Einmarsch in Dnipropetrowsk überraschte uns ein Wolkenbruch, dass alle Pferde scheuten und nur mit größter Mühe vor dem Ausreißen zu halten waren. Auch mit Wasser und Verpflegung hat es einige Schwierigkeiten und arg ist die Insektenplage. Sonst im Allgemeinen kommen wir, die wir vor einigen von Pferden noch nichts verstanden mit diesem ganz gut weiter. Die Bahnfahrt freilich hatten wir wenig Ruhe und in meinem Waggon hatten wir sogar einen Koliker, der bald eingegangen wäre. Schließlich kam er aber doch davon. Jetzt wird es halt immer dreckiger und öder und bald sind wir wieder ganz am Feind heran, bei unseren Kameraden, die viele den Winter hier durchgehalten haben und noch immer vorne sind. Viele sind aber schon abgelöst und waren auch auf Heimaturlaub. In Kürze wird sicher die große Offensive beginnen und da wir die Gäule abgeben, sind auch wir schon dabei. Der Russe kann sich wieder auf was gefasst machen und er wird es ja bereits. Für uns hoffen wir halt das Beste. Nun liebe Mutter und Lisl mache ich für heute Schluss und schreibe euch in Kürze, bis wir eine neue Feldpostnummer haben, wieder viele 1.000 Grüße und Küsse, bis dahin euer Toni

Der originale Feldpostbrief

Feldpostbrief Anton Steinacher 19.6.1942 Odessa Russland
Fotografie des originalen Feldpostbriefes von Anton Steinacher vom 19.6.1942
Feldpostbrief Anton Steinacher 19.6.1942 Odessa Russland - Absender
Absender: Gefreiter Anton Steinacher

Weitere Infomationen zu diesem Feldpostbrief

Die folgende Landkarte zeigt den Weg, den Anton Steinacher im Sommer 1942 von Österreich bis an die Front der Ukraine mit dem Zug und zu Fuß zurück gelegt hat. Die Zugstrecke hatte in etwa eine Länge von 1.500 Kilometer. Der Marsch bis nach Konstantinowka war in etwa 300 Kilometer lang.

Eine Spur im Rahmen der Nachforschung weist darauf hin, dass sich Anton Steinacher während der deutschen Sommeroffensive 1942 in der 257. Infanterie-Division befunden hat. Dies geht aus folgenden Zeilen hervor:

„Schließlich erreichte sie das Donezbecken zwischen Sslawjansk und Isjum. In diesem Raum kämpfte die Division anschließend bis Juli 1942. Im Juli 1942 wurde die Division aus der Front gezogen und nach Frankreich auf den Truppenübungsplatz Mourmelon verlegt, wo sie aufgefrischt wurde. Im September 1942 verlegte die Division in die Champagne und im Oktober 1942 in den Raum Brest am Atlantik.“

Die Ortschaften Sslawjansk und Isjum befinden sich Nahe Konstantinowka, wo Anton Steinacher diesen Feldpostbrief schrieb, bevor die Sommeroffensive startete. Wie vermutet, hat sich Anton Steinacher hier, im Juni 1942, in der 1. Panzerarmee der Heeresgruppe Süd in der Nähe von Donezk befunden. Die 257. Infanterie-Division wurde dann ab August 1942 nach Frankreich verlegt, wo sie für das restliche Jahr über verblieben ist.

Historischer Background: Die deutsche Sommeroffensive 1942

Dieser Feldpostbrief wurde nur ein paar Tage vor Beginn der deutschen Sommeroffensive Ende Juni 1942 in der Nähe der Frontlinie von Anton Steinacher geschrieben.

Am 28. Juni 1942 startete die deutsche Wehrmacht die große Sommeroffensive. Aufgrund ihrer Schwächung durch die Verluste im Winter 41/42 beschränkte sich der Angriff auf einen 800 Kilometer breiten Frontabschnitt zwischen Kursk und Taganrog (siehe rote Linie auf der Karte). Nach dem gescheiterten Angriff auf Moskau richtete sich Deutschland nun auf einen langen Krieg ein. Aus diesem Grund sollte die Heeresgruppe Süd die kaukasischen Ölfelder erobern. Mit dem kriegswichtigen Rohstoff verband die Wehrmacht die Hoffnung auf eine deutliche Verbesserung der eigenen Position für die bevorstehenden Kämpfe in Russland.

Wenige Tage nach Beginn der Sommeroffensive erreichte die Heeresgruppe Süd den Don bei Woronesh. Während ihr Nordflügel, die Heeresgruppe B unter Maximilian von Weichs, anschließend den Fluss entlang nach Südosten Richtung Stalingrad vorrückte, stieß ihr die Heeresgruppe A in einer Zangenbewegung von Süden entgegen. Aufgrund eines strategischen Rückzugs der Sowjets hinter die Don-Wolga-Linie, sowie in den Kaukasus, misslang die vorgesehene Einkesselung der sowjetischen Armee. Der dadurch ermöglichte rasche Vormarsch verleitete Hitler zu der Vermutung, die Rote Armee hätte entscheidend an Schlagkraft verloren.

Eine fatale Entscheidung von Adolf Hitler

Seine neue Weisung für die Sommeroffensive vom 23. Juli 1942 sah daher zwei parallele – anstatt, wie vorgesehen, nacheinander durchgeführte – Operationen der beiden Flügel vor: Während die Heeresgruppe B auf Stalingrad angesetzt blieb, sollte die Heeresgruppe A durch den Kaukasus zum Kaspischen Meer vorstoßen, um die Ölfelder von Grosny und Baku zu besetzen.

Während der deutschen Sommeroffensive von 1942 waren Ende Juli drei deutsche Armeen der Heeresgruppe A unter Wilhelm List am unteren Don nach Süden und Südosten in Marsch gesetzt worden. Anfang August eroberte die 1. Panzerarmee unter Ewald von Kleist die 300 Kilometer südlich von Rostow gelegenen Ölfelder von Maikop, die ein Hauptziel der Offensive darstellten. Gleichzeitig stießen 250 Kilometer östlich die 4. Panzerarmee und die 17. Armee nach Pjatigorsk am Fuß des kaukasischen Gebirges vor.

Am 21. August 1942 wehte auf dem Gipfel des Elbrus, dem mit 5.633 Metern höchsten Berg des Kaukasus, die deutsche Reichskriegsflagge. Die symbolische, militärisch jedoch sinnlose Erstürmung des Gipfels kaschierte nur kurz das strategische Desaster der Wehrmacht zwischen Schwarzem und Kaspischem Meer.

Die durch sowjetische Rückzugsbewegungen begünstigten großen Raumgewinne hatten erhebliche Nachschubprobleme der Deutschen an Treibstoff und Munition zur Folge. In den unwegsamen Bergregionen konnte der Transport zudem nur mit Maultieren erfolgen, größtenteils durchgeführt von berittenen Kosakeneinheiten, die als Hilfstruppen an der Seite der Deutschen gegen die Rote Armee kämpften.

Während Adolf Hitler Anfang September 1942 in der irrigen Vorstellung schwelgte, zum Kaspischen Meer vorstoßen zu können, kam zeitgleich der mit rund 450 Kilometern zu weit auseinandergezogene Vorstoß zum Stehen. Auf dem linken Flügel gelang es den deutschen Einheiten nach der Einnahme von Mosdok nicht mehr, sich den Weg zu den Ölfeldern von Grosny freizukämpfen. Auch an der Ostküste des Schwarzen Meers scheiterte aufgrund wachsenden sowjetischen Widerstands der Versuch, über die Kaukasuspässe nach Tuapse und Suchumi vorzudringen.

Der Rückzug aus dem Kaukasus begann anschliessend im Dezember 1942, als die deutschen Armeen aufgrund einer sowjetischen Großoffensive am Don Gefahr liefen, von ihren rückwärtigen Verbindungen abgeschnitten zu werden. Im März 1943 standen die Truppen etwa wieder auf der Linie, aus der sie im Sommer ein Jahr zuvor den Vorstoß in den Kaukasus eröffnet hatten. Heftige Kämpfe tobten bis zum Sommer 1943 allerdings noch um den Kuban-Brückenkopf vor allem bei Krymskaja und Noworossijsk.