Feldpostbrief vom 3.7.1941 – Tarnopol / Ternopil

Liebe Lisl!

Ich benütze eine kleine Rast, Dir ein paar Zeilen von der Front zu senden. Wie Du weißt bin ich ja längst nicht mehr in Oberbayern. Wir sind seit fünf Wochen unterwegs. Zuerst fuhren wir 4 Tage durchs Reich, Protektorat und von der Slowakei aus ging unser Marsch durch Polen. Wir waren einen Tagesmarsch von der Demarkationslinie als am 21.Juni um Mitternacht uns der Krieg mit Russland bekannt gegeben wurde und um 4:15 früh hörten wir im Osten bereits die ersten Kanonenschüsse. Während des Marsches durch die Slowakei und des Generalgouvernement hatten wir nach jedem Marsch einen oder auch zwei Tage Rast. Seit Kriegsbeginn im Osten marschieren wir ununterbrochen und haben nur mehr kleine Pausen von einigen Stunden. Ansonst wird Tag und Nacht marschiert. Kannst Dir denken, ganz schöne Strapazen. Dürften bis jetzt gegen 600 km sein. Kurz nachdem es losging, überschritten wir auf allen Seiten die russische Grenze. Von Finnland bis Rumänien. Wir, die Demarkationslinie im südöstlichen Polen. Unsere Kompanie war an die Spitze des Bataillons gestellt und wir wurden gleich eingesetzt. Kurz vor uns lagen die aktiven Gebirgsjäger, die den meisten Widerstand zu brechen hatten. Hierbei ist der Skirennfahrer Rudi Granz gefallen. Er war Oberjäger. Die Kompanie, bei der ich bin, hatte den Auftrag, die Wälder von versprengten und eingeschanzten Russen zu säubern. Wir hatten Erfolg und mein Zug allein eroberte zwei Pferdefuhrwerke und ebenso viele Lastautos. Wir überraschten den Feind und konnten nach kürzerem Kampf mit den Fahrzeugen, einem russischen Offizier und sieben weiteren Gefangen zur Kompanie einrücken. Einige tote Russen blieben am Platze. Wir hatten gottlob noch keine Verluste. Unsere Kompanie wurde belobigt und nun meist an der Spitze eingesetzt. Schon am nächsten Tag stürmten wir eine russische Stellung im Walde und mussten diesmal Verluste erleiden. Von meiner Kompanie waren 8 Schwerverwundete und 2 Gefallene. Nun wurden wir von der Spitze abgelöst und durch Unterstützung unserer Panzerwagen und motorisierter Truppen wurde der Feind weit zurück geworfen. Unsere Kanonen verleihen dem feindlichen Rückzug den nötigen Nachdruck. Wir sind an allen Fronten im raschen Vorgehen. Nur heute haben wir mit großen Geländeschwierigkeiten zu kämpfen. Richtige Verkehrsstraßen nach unserem Sinne gibt es ja fast nicht. Alles Feldwege oder Fahrtwege, die einem Acker ähnlich sind. Nun hat es eine ganze Nacht geregnet und wir stecken im Dreck und Kot bis zu den Waden. Die Folge eine ungeheure Hemmung für den Transport. Es muss aber weitergehen, um den Russen auf den Fersen zu bleiben, sodass er sich nirgends mehr festsetzen und großen Widerstand leisten kann. Die Straßen sind für die Bewegung eines Krieges von ungeheurer Bedeutung und da fehlt es hier gewaltig. Entweder Kot oder bei Trockenheit fürchterlicher Staub. Die letzten Wochen marschierten wir von morgens bis in die Nacht täglich in einer endlosen Staubwolke. Doch war es günstiger als dieser Dreck. Wir liegen kurz vor der Stadt Tarnopol und sollen wir diese erreicht haben, motorisiert weiter vorgebracht und als Vorauskommando wieder hart am Feind eingesetzt werden. Dann geht es wieder hart auf hart. Soweit geht es mir gut, nur füßmarod sind wir halt alle. Ist ja klar, stecken wir nun schon die 2. Woche in den Schuhen und haben keine Gelegenheit zum Sockenwechseln. Paar Tage oft keine Gelegenheit sie überhaupt von den Füssen zu kriegen. Wir hoffen halt bald einen Ruhetag zu kriegen. Und dann soll wenigstens das Wetter schön bleiben. So werden wir mit dem Russen bald fertig sein. Was und wie sonst vorgeht, erfährt ihr daheim ja rasch und ausführlich aus Zeitung und Radio.

Liebe Lisl, jetzt muss ich Dich ja auch fragen, wie es Dir geht. Geht bald die Heu- und Feldarbeit an und hast immer viel Plage. Fredi hat mir vor ein paar Wochen aus Znaim geschrieben. Roman vom Balkan und Beer und Duscher haben geschrieben. Nun lasse es Dir gut gehen und schreibe mir auch einmal was Neues ist. Wie ich kann, schreibe ich Dir auch wieder, und grüße Dich bis dahin herzlich. Dein Bruder Toni

Der originale Feldpostbrief

Fotografie des originalen Feldpostbriefes von Anton Steinacher vom 3.7.1941
Feldpostbrief Anton Steinacher 03.07.1941 Feldpostnummer 11649e Absender
Absender: Soldat A. Steinacher Feldpost No 11.649 C - der Brief ist in sehr schlechtem Zustand (von der Front)

Weitere Infomationen zu diesem Feldpostbrief

Anton Steinacher war der Feldpostnummer 11.649 C zugeteilt, welche sich auf das Infanterie– bzw. in Folge auf das Jäger-Regiment 207 Stab II. Bataillon 7. Kompanie rückverfolgen lässt.

Die folgende Landkarte zeigt in etwa den Weg des Jäger-Regiment 207 Stab II. Bataillon 9. Kompanie, den Anton Steinacher in Feldpostbrief vom 3.7.1941 beschreibt. Interessant ist die Strecke vom südöstlichen Polen bis kurz vor die Stadt Tarnopol in der Ukraine. Hier bewegte sich Anton Steinacher zwischen dem 22.6.1941 und dem 3.7.1941 in 12 Tagen rund 200 km zu Fuß mit seiner Einheit durch feindliches Gebiet an vorderster Front- bzw. Demarkationslinie.

Die Wegbeschreibung von Anton Steinacher weist darauf hin, dass seine Einheit aber bereits ca. 600km zu Fuß unterwegs war, und das seit 5 Wochen:

  • 23.5. – 27.5.1941: Im Güterzug durch das deutsche Reich sowie Protektorat Böhmen und Mähren
  • 27.5. – 21.6.1941: etwa 400 km zu Fuß durch die nördliche Slowakei bis ins südöstlichste Polen
  • 22.6. – 3.7.1941: Ca. 200km Fußmarsch im Fronteinsatz (12 Tage) in Russland bis kurz vor Tarnopol

Diese Daten stammen im Abgleich mit den Informationen aus diesem Feldpostbrief und den Schilderungen über das Infanterie-Regiment 207.

Der Truppentransport durch das deutsche Reich und Protektorat Böhmen und Mähren (heute: Tschechien) ist von der Deutschen Reichsbahn durchgeführt worden. Dies belegt der Feldpostbrief vom 17.6.1941, in welchem Anton Steinacher von der Bahnfahrt in Güterwagen berichtet. Die genaue Route ist aufgrund der sperrlichen Informationen leider nicht exakt rekonstruierbar, dennoch lässt vermuten, dass die Route von Bayern (Bad Aibling oder Bad Reichenhall) über Salzburg und Linz, dann nach Norden bis Budweis bzw. Tabor, und dann weiter immer nach Osten über Brünn in die Slowakei bis nach Prešov.

Diese alte Bahnkarte des Deutschen Reiches vom 17.5.1943 zeigt das damalige Reichsbahn-Streckennetz, welches Rückschlüsse auf den Transportweg mit der Bahn (Güterwagen) des Infanterie-Regiment 207 zulässt. Die grüne Linie zeigt den vermuteten Weg bis ins slowakische Prešov. Die Reichsbahn Karte dieser Zeit zeigt viele weitere Strecken.

Beginn des Deutsch-Sowjetischen Krieges

Am 22.Juni 1941 erklärte Deutschland den Sowjets den Deutsch-Sowjetischen Krieg. Hier, im polnischen Tarnogród, nur einen Tagesmarsch (ca. 40km) entfernt von der Demarkationslinie (Grenzlinie, die vorderste Front) hörte Anton Steinacher um 4:15 die ersten Kanonenschüsse im Osten. Nur noch weiter vorne haben sich die aktiven Gebirgsjäger befunden. Insofern wurde Anton Steinacher ein Zeitzeuge dieser historisch bedeutsamen und fatalen Entwicklung im 2. Weltkrieg.

Fall Barbarossa

In diesem Feldpostbrief berichtet Anton Steinacher erstmals von einem Fronteinsatz. Dies ist einer der historisch / strategisch bedeutsamsten und gravierendesten Fronteinsätze des 2. Weltkrieges. Mit diesem Fronteinsatz erklärte Adolf Hitler auf hinterlistige Art und Weise Russland den Krieg und leitete damit den Anfang vom Ende des Deutschen Reiches ein. Ab diesem Zeitpunkt hatte Adolf Hitler nicht nur die westlichen Alliierten zum Feind, sondern auch den bislang „schlafenden“ Giganten Russland mit Josef Stalin an der Spitze der Macht. Unter dem Decknamen Fall Barbarossa wurde dieser zuerst geplante Blitzkrieg bereits Anfang des Jahres 1941 von Adolf Hilter intensiv ausgearbeitet. Durch eine Reihe von Umständen, die teilweise auch von Anton Steinacher in diesem Brief beschrieben wurden (Regen, Schlamm, unwegsames Gelände), wurde aus diesem geplanten Blitzkrieg ein langes und katastrophales Desaster für die Wehrmacht.

So hat es die deutsche Wehrmacht mit Anton Steinacher und seinem Regiment an der Spitze in 12 Tagen nur 200 Kilometer weit bis nach Tarnopol geschafft, weit hinter dem gewünschten Zeitplan. Die Strapazen bis dorthin sind von Anton Steinacher beschrieben. Es wurde Tag und Nacht mit nur wenig Ruhezeit marschiert und gekämpft.