Liebe Mutter!
Habe Deine Karte bekommen und erwidere Deine und die Grüße von der Lisl herzlichst. Ich bin mit meiner Truppe nun schon wochenlang unterwegs und ein ganz schönes Stück von der Heimat entfernt. Zuerst fuhren wir einige Tage und Nächte mit der Bahn, in Güterwagen natürlich, und seitdem marschieren wir, meist nachts in 40 bis 50km Etappen, unserem, uns unbekanntem Ziel entgegen. Es besteht hier sehr große Spionagegefahr und kann Dir deshalb nicht schreiben, wo ich mich befinde. Jedenfalls bin ich gesund und brauchst Dir keine Sorgen um mich zu machen. Freilich größere Strapazen und einigermaßen Feindberührungen gehören jetzt wohl zu unserem Dienst. Aber schließlich bin ich Soldat und immerhin seit der Rekrutenzeit an dermaßen gewöhnt worden. Wenn es dortmals auch viel Schweiß kostete, empfinden wir es heute als gute Vorbereitung. Die Märsche machen mir persönlich nicht viel aus und es zeigt sich, dass mein Beruf und die sportliche Betätigung, wie Radfahren und Bergtouren und Skifahren, jahrelang gute Übung, für die gegenwärtige Tätigkeit und den uns bevorstehenden Feindeinsatz bilden. Wie es kommen wird, werden Euch daheim schon die Zeitungen laufend mitteilen. Was unser Führer vor hat und wie er entscheiden und befehlen wird, wissen wir alle nicht. Jedenfalls wird er, wie immer, das Rechte schon treffen. Wenn wir dabei schon Opfer bringen müssen, werden wir auch wieder entschädigt, damit, dass man viel Neues sieht und erlebt, was im Zivilleben nie möglich wäre. Man kann mit offenen Augen und Ohren viel zulernen, was einem im späteren Leben gut anstehen wird. Ich habe jetzt, die kurze Zeit bereits, so viel gesehen, wie in Zivil in einigen Jahren nicht. Werde Euch, bis ich wieder einmal auf Urlaub komme, erzählen können. Nun zu Euch. Wie geht es Dir und der Lisl, liebe Mutter? Ist ja längst schon wieder die viele Arbeit mit Wiesen und Feldbestellung und eine wahre Plage für Euch beide. Hoffentlich bist Du aber gesund und ist auch der Lisl ihr Rheuma und Katarrh wieder weg. Was ist Neues in Lilienfeld und Deutschwald? Freiner Großvater machte es plötzlich, wahrscheinlich Altersschwäche. Ich habe von Reichenhall einmal Albinonkel geschrieben, aber keine Antwort bekommen. Ich fahre nach dem Krieg mit Dir einmal hin und musst Du mir die schöne Gegend zeigen und erklären. Von Purkersdorf hat mir Roman seine Frau geschrieben, dass alles wohlauf ist und von ihm selber, sowie von Fredi habe ich ebenfalls gute Nachricht. Frau Lensky schreibt mir auch öfters und schickt mir hin und wieder auch ein Packerl. Sie ist ein wirklich gutes Leut‘ und bin Dir und Lisl sehr dankbar, dass Ihr sie eingeladen habt. Hoffentlich kriegt sie Urlaub. Nun, liebe Mutter, hätte ich eine große Bitte. Nämlich die Socken sind schon kaputt. Ich stopfe sie ja, wann immer es möglich ist, aber die langen Märsche setzen ihnen gewaltig zu. Dann bitte ich Dich um ein Schuhpastabürstel und um eine Stange feste Brillantine. Wenn Du ein Doserl Niveacreme auftreiben könntest, wäre fein nach dem Rasieren. Das Wasser hier ist allgemein schlecht und springt die Haut stark auf. Zu Essen schicke mir nicht, höchstens Zwieback oder so, da die Pakete meist einige Wochen bis hierher brauchen und dann alles verdorben ist. Wenn der Eintopf nicht ausreicht und wir Hunger haben, treten wir in regen Handel mit der hiesigen Bevölkerung und können meist das Notwendigste beschaffen. Ein Jammer ist allerdings das Waschen mit kaltem Wasser und wenig Seife. Also vielen Dank im Voraus und schreibe mir auch bald wieder. Nochmals recht herzlichen Gruß an Dich und die Lisl, ein dankbarer Sohn Toni
Der originale Feldpostbrief
Weitere Infomationen zu diesem Feldpostbrief
Auch an diesem Feldpostbrief ist zu erkennen, dass Hoffnung und Zuversicht eines der mentalen Auffangnetze der ahnungslosen Wehrmachtssoldaten war. Es ist hier auch von möglicher Spionage die Rede, was die allgemeine Situation und Stimmung zusätzlich anspannte. Anton Steinacher hat aber fest auf seine körperliche Leistungsfähigkeit und auf seine Grundausbildung vertraut, die ihm die Sicherheit gegeben hat, den bevorstehenden Anforderungen gewappnet zu sein. Man darf keineswegs außer acht lassen und unterschätzen, wie wichtig die mentale Einstellung zu einem gewissen Umstand sein kann. Womöglich kann dies das Leben retten. Anton Steinacher hat auch hier versucht, dem Ganzen etwas Positives abzugewinnen, in dem er hier die Möglichkeit bekommen hat, die Welt zu sehen. Über den „Führer“ schreibt er kurz im positiven Kontext, was aus der Unwissenheit über die bevorstehende Zukunft resultiert.
Anton Steinacher war der Feldpostnummer 11.649 C zugeteilt, welche sich auf das Infanterie– bzw. in Folge auf das Jäger-Regiment 207 Stab II. Bataillon 7. Kompanie rückverfolgen lässt. Dieser Feldpostbrief wurde wahrscheinlich in der Umgebung der polnischen Stadt Leżajsk, nur 5 Tage vor Ausbruch des Deutsch-Sowjetischen Krieges (Fall Barbarossa). Diese interaktive Landkarte zeigt den Weg des Infanterie-Regiment 207 der deutschen Wehrmacht zwischen 23.5. und 3.7.1941.